Zur Arbeit „Auf Augenhöhe

Skizze zur Video-Installation

Dieser Text ist eine Einführung in die Arbeit „Auf Augenhöhe“, die Sabine Himmelsbach am 29. Juni 2015 im Garten der Christoph Merian Stiftung hielt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich ausserordentlich, heute über das Werk „Auf Augenhöhe“ von Philipp Gasser sprechen zu dürfen, welches von der Christoph Merian Stiftung für den Eingangsbereich in Auftrag gegeben wurde. Die Arbeiten von Philipp Gasser verfolge ich seit ich in Basel bin mit grossem Interesse und hatte auch schon Gelegenheit, sie in Ausstellungskontexten am HeK (Haus der elektronischen Künste Basel) zu zeigen.
In seiner neuen Arbeit Auf Augenhöhe führt Gasser die Auseinandersetzung mit Fragen von Raumwahrnehmung, aber auch der Verschränkung von Realem und Fiktiven weiter. Zentral ist hier, wie auch bei früheren Arbeiten, die Auseinandersetzung mit Fragen der Wahrnehmung und der technologischen Entwicklung von Abbildern und nicht zuletzt auch des Einbezugs des Betrachters selbst.
In der ortsspezifischen Videoinstallation, die für den Eingangsbereich der Christoph Merian Stiftung realisiert wurde, arbeitet Gasser mit mehreren Komponenten. Eine Büste des Stiftungsgründers Christoph Merian wird zum Ankerpunkt einer Videoinstallation, in der verschiedene Personen der Stadt Basel – darunter mehrheitlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Christoph Merian Stiftung – dem Schattenbild des Stifters gegenübertreten.

Wir werden Zeuge einer Begegnung und werden zugleich Teil von Ihr. Die Personen, die Gasser in seinem Studio aufgenommen hat, wenden sich im Profil dem Stifter zu und dann drehen sie sich und schauen uns an, die Betrachter. In diesem Moment wird das Schattenbild aufgelöst und die Personen erscheinen im Videobild und laden uns ein, Teil dieses Spiels der Begegnungen und des Erkennens zu werden. In dieser einfachen und schönen Geste gelingt es Gasser, der Aufgabe und dem Anliegen der Christoph Merian Stiftung ein Gesicht bzw. verschiedene Gesichter zu geben. Ausgehend vom Stiftungsgedanken Christoph Merians sind es heute die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Aufgaben der Stiftung wahrnehmen, sie beleben und zur Ausführung bringen.

Die Installation erscheint einfach und ist doch ausgeklügelt und komplex und bringt unterschiedliche mediale Darstellungsformen zusammen. Zentral ist die Marmorbüste des Stifters, die – angestrahlt von einem LED-Scheinwerfer –, einen realen Schatten auf die dahinterliegende Wand bzw. auf die Projektionsfläche wirft. Ihr zugewandt sind die Schattenrisse der Personen, die im Profil in Beziehung zum Schattenbild des Stifters gesetzt werden, bevor sie sich uns zuwenden.
Hier greift Gasser eine Tradition des 18. Jahrhunderts auf, in der die Silhouette oder das Schnittbild als Sonderform des Scherenschnitts eine Blütezeit erlebte. Das flächige Abbild von Menschen im Profil wurde ohne Binnenzeichnung in Papier geschnitten. Silhouetten waren günstiger in der Herstellung als die teuren Miniaturen und entwickelten sich schnell als eigene Kunstform. Mit der Erfindung der Fotografie verloren sie jedoch nach 1840 an Bedeutung.
Die Nutzung des Schattenbilds ist bei Gasser auch eine Referenz an die Entwicklung von Abbildern. Das Schattenbild wird zur digitalen Animation und zum bewegten Bild und verweist in dieser Abfolge und den historischen Referenzen gleichzeitig auch auf die historische Entwicklung der Stiftung selbst.

Die Beschäftigung mit Schatten ist ein durchgängiges Thema in den Arbeiten von Philipp Gasser – von frühen Werken wie I’m an Exhibition aus dem Jahr 2001 bis hin zu Aus dem Schatten treten (2009) oder Kräfte der Welt – Unsichtbare Strahlung (2012) nutzt er dieses Element, um Reales mit Fiktivem zu verknüpfen. In Auf Augenhöhe werden die Schattenumrisse der Personen digital animiert und morphen zum jeweils nächsten Gegenüber des Stifters, bevor sie sich wieder den Betrachtern zuwenden. So löst sich der Einzelne wieder in der Gruppe auf, wird zum Stellvertreter für viele und ist doch in seiner jeweiligen Individualität hervorgehoben. Gasser gelingt es damit, ein Bild der Stiftung selbst lebendig werden zu lassen.

Die Arbeit Auf Augenhöhe verweist bewusst auf ihren digitalen Charakter und macht mit den heutigen technischen Mitteln und Möglichkeiten die historische Entwicklung von Bildmedien nachvollziehbar – von der Silhouette des 18. Jahrhunderts über das bewegte Bild bis hin zur digitalen Animation. Reales (Büste) und Fiktives (Projektion) verschränken sich zu einem gemeinsamen Raum, in den auch die Betrachter als Gegenüber einbezogen werden. In der inszenierten Geste der Begegnung und des Erkennens schlägt Auf Augenhöhe die Brücke vom ursprünglichen Stiftungsgedanken zur heutigen Umsetzung und Arbeit der Stiftung in Basel und lässt die Basler Bevölkerung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Christoph Merian Stiftung zu Fürsprechern und Handelnden werden – gleichzeitig dem historischen Erbe verpflichtet und dennoch in der Jetztzeit angekommen.

Sabine Himmelsbach